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9. Folgerungen für die Planung Stuttgart 21

Die topographische Situation des Stuttgarter Talkessels erweist sich vom Standpunkt der Stadtklimatologie als bedeutsamer Planungsfaktor:

Das Entwicklungsgebiet Stuttgart 21 flankiert die Achse des Nesenbachtals, in dem talparallele Winde (Südwest- und Nordostwinde zusammen) mit 34 % Häufigkeit bei weitem vorherrschen. Der Windrichtungskanalisierung überlagert sich in diesem Tal noch ein tagesperiodisches Windsystem, so dass in der Nachtzeit aufgrund von Kaltluftflüssen und eines sich daraus entwickelnden Bergwindes allein die Windrichtung Südwest im Mittel mit 38 % Häufigkeit vorkommt. Das Nesenbachtal ist somit die Hauptbelüftungsachse des zwischen Heslach und Bad Cannstatt gelegenen Innenstadtbereichs.

Der im Nesenbachtal in Höhe des Hauptbahnhofs vorspringende Kriegsberg und die gegenüberliegende Uhlandshöhe bewirken eine starke Einengung des Talverlaufs. Vor allem in diesem Bereich (Plangebiete A1 und A2) aber auch im Plangebiet B würde eine hohe, sperrige Bebauung eine unerwünschte Behinderung der talparallelen Durchlüftung bewirken. Wohl aber ist im Gebiet A1 und A2 eine flächenhaft verdichtete verhältnismäßig niedrige Bebauungsform denkbar. Zur Frage stadtklimaverträglicher Bebauungshöhen und Baukörperanordnung kann erst nach Auswertung der noch ausstehenden Untersuchungen Stellung genommen werden. Die im Entwurf zum Rahmenkonzept angesprochene Traufhöhe von 20 m dürfte sich dabei als realistischer Ansatz erweisen. Die entsprechenden Modellberechnungen erlauben es auch, Entwurfsvarianten auf vergleichbarer Grundlage hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Durchlüftung zu vergleichen.

Das heutige Bahngelände im Vorfeld des Hauptbahnhofs sowie beim Paketpostamt, Lokomotiv- und Abstellbahnhof bedeutet einen terrassenförmigen Eingriff in die natürliche Topographie des Nesenbachtales. Auch herrschen bei dieser Anlage künstliche Baustoffe vor, und der Versiegelungsgrad wird mit mehr als 90 % für den Bereich des Wagengut- und Hauptbahnhofs (Plangebiete A1 und A2) sowie zwischen 76 % und 90 % für die übrigen Gleisanlagen (Plangebiete C1, C2 und B) in der Bodenversiegelungskarte entsprechend hoch angegeben (LANDESHAUPTSTADT STUTTGART, 1989).

Vom meteorologischen Standpunkt unterscheiden sich jedoch die baulich nicht genutzten Gleisanlagen trotz Vegetationsmangels und fehlender natürlicher Oberfläche in positiver Weise von den im Sinne des Wortes versiegelten Baugebieten, Plätzen und Verkehrsflächen: Das Schotterbett der Gleisanlagen lässt die Versickerung von Niederschlägen zu, so daß sich entsprechende Verdunstungsbeiträge ergeben. Das Gelände ist auch vergleichsweise hindernisarm und bietet deshalb der Windströmung nur geringen Widerstand.

Die Anzahl der Tage mit thermischer Belastung (Schwüle-Empfindung) liegt im Bereich des Bahngeländes zwar ebenso hoch wie in der Innenstadt und ist nur dort geringer, wo Vegetationsbestand vorherrscht; doch kühlen die Gleisanlagen nachts viel stärker ab als städtische Bebauung und bilden somit im Verbund mit Schloßgarten und Rosensteinpark eine Unterbrechung der städtischen Wärmeinsel zwischen der Innenstadt und Bad Cannstatt. Wie auch Untersuchungen des Deutschen Wetterdienstes ergeben haben, hat das Kleinklima von Bahnanlagen mehr Ähnlichkeit mit dem Freilandklima als mit dem städtischer Bebauung. Dieser Umstand kommt der Frischluftversorgung des Stuttgarter Talkessels durch nächtliche Kaltluftflüsse entgegen.

Mit einer Intensivierung der baulichen Nutzung (Plangebiet A1) bzw. der Umnutzung von Gleisanlagen für bauliche Zwecke (übrige Plangebiete) ist stets auch eine unerwünschte Zunahme der Lufttemperatur verbunden (urbaner Wärmeinseleffekt). Um bei der schon gegebenen thermischen Belastung des Stuttgarter Talkessels (mit hoher Anzahl schwüler Tage) Unzuträglichkeiten zu vermeiden, wird es sich als notwendig erweisen, insbesondere im Plangebiet B Kompensationsflächen vorzusehen, die dem angrenzenden Rosensteinpark und dem schmalen Band des Schloßparks zugeschlagen werden sollten. Dafür bietet sich vor allem der Übergangsbereich zwischen Rosensteinpark und Schloßgarten bei der Ehmannstraße an, der sich künftig auch bezüglich lokaler Belüftungsbeiträge aus dem Neckartal öffnen sollte.

Die zur Minderung der thermischen Auswirkungen geplanter Bebauung erforderlichen Vegetationsflächen, aber auch die Grünausstattung der Baugebiete selbst kann erst in Folgeuntersuchungen auf der Grundlage konkreter städtebaulicher Entwürfe quantifizert werden. Schon jetzt soll die Notwendigkeit von Dach- und Fassadenbegrünung, die intensive Begrünung nicht überbauter Grundstücksteile und eine wirkungsvolle Vernetzung der so gewonnenen Grünbereiche mit den größeren innerstädtischen Grünflächen (Pragfriedhof, Schloßgarten, Rosensteinpark, IGA-Gelände) angesprochen werden. Insbesondere sollte auch im südwestlichen Teil von Gebiet B eine Kompensationsfläche geschaffen werden, die außer der Vergrößerung der Parkfläche eine engere Verknüpfung von Pragfriedhof und Schloßgarten und damit auch die Möglichkeit kleinräumigen Luftaustausches bietet. Eine Bebauung hingegen würde Pragfriedhof und Schloßgarten mehr voneinander abriegeln als dies heute der Fall ist.

Da thermische Unbehaglichkeit bzw. das Auftreten sommerlicher Schwüle hauptsächlich eine Folge fehlender Ventilation bei starker Einstrahlung ist, sollten außer dem Zugewinn von Vegetationsflächen auch in diesem Zusammenhang Gesichtspunkte der Durchlüftung beachtet werden. Dabei sind die Möglichkeiten des lokalen Luftaustauschs durch nächtliche Kaltluftflüsse (Hangabwinde) von besonderem Interesse.

Das Entwicklungsgebiet Stuttgart 21 wird von drei örtlichen Frischluftschneisen des nordwestlich angrenzenden Höhenrückens tangiert. Von Süd nach Nord sind dies

- die Mönchhalde (in der Achse Kriegsberg - Türlenstraße - Wolframstraße),

- die Eckhartshalde (in der Achse Kochenhof - Heilbronner Straße - Pragfriedhof),

- die Wartberg-/Steinberg-Klinge (in der Achse Killesberg - Nordbahnhof).

Die letztgenannte Frischluftschneise setzt sich als ehemaliges Tal des Störzbaches entlang der Ehmanstraße bis zum Unteren Schloßgarten fort. Hier gilt es, die baulichen Eingriffe durch Bahnbetriebswerk Rosenstein und das Paketpostamt rückgängig zu machen und das Störzbachtal als Frischluftschneise voll zu reaktivieren. Diese Forderung bedingt auch eine größere Durchlässigkeit der heute dieses Tal nahe dem Nordbahnhof querenden Bahndämme. Die lufthygienische Situation stellt sich im Entwicklungsgebiet Stuttgart 21 vergleichsweise günstig dar, da es sich um eine Fläche mit geringer Emissionstätigkeit handelt, die zudem an emissionsfreie Parkanlagen grenzt und mit den benachbarten Hanglagen des Stuttgarter Nordens über gleichfalls günstige Voraussetzungen verfügt. Das Untersuchungsgebiet ist jedoch von sehr stark belasteten Straßenzügen umgeben. Es wird darauf ankommen, die neuen Bauflächen effektiv zu erschließen, ohne damit eine Ausweitung immissionsbelasteter Bereiche in das Entwicklungsgebiet hinein zu fördern. Die heute geringe Freisetzung von Luftschadstoffen sollte auch ein künftiges Merkmal des Entwicklungsgebietes bleiben. Dies setzt eine im Versorgungsgebiet emissionsfreie Energie- bzw. Heizwärmeversorgung voraus. Die Messungen und Berechnungen der Schadstoffbelastung an den Straßen (s. Kapitel 7) zeigen, daß insbesondere in Bezug auf das Plangebiet die Heilbronner Straße z. T. auch die Wolframstraße höhere Belastungen aufweisen. Dies muß bei der Ausgestaltung der Bebauung im Planungsabschnitt A 1 berücksichtigt werden. Eine geschlossene Randbebauung an der Heilbronner Straße und Wolframstraße sollte aus Belüftungsgründen deshalb unterbleiben. Die Untersuchung zu den stadtklimatischen Grundlagen für "Stuttgart 21" sind noch nicht abgeschlossen, so daß derzeit eine abschließende Beurteilung noch nicht abgegeben werden kann.

Die Karte (Abb. 9-1) stellt somit nur eine vorläufige Umsetzung der städtebaulichen Anforderungen an die Planung dar.

Abb. 9-1: Vorläufige stadtklimatologische Hinweise für die Planung Stuttgart 21


 
 

© Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für Umweltschutz, Abt. Stadtklimatologie